Traumfamilie

Das Bild sieht ja einfach aus und appelliert freundlich an die Wahrnehmungsbequemlichkeit des durchschnittlich geübten Betrachters von visuellen Artefakten. Beim zweiten bewussten Hinschauen jedoch sträubt sich der visuelle Aufnahmeapperat ziemlich, weil die bildräumliche Struktur eher traumhafter ist als die getreue Abbildung einer Familie.

Traumfamilie

Marion Lucka: Traumfamilie, Acryl, 1996

Denn der Vordergrund zeigt einen streifigen blauen Wellenbereich in dem ein Kind eingetaucht ist vor sich eine gelbe Fläche mit beiden Händen haltend seitlich davon schiebt es seine beiden Füsse über die hinterste Welle. Unmittelbar hinter ihm kombinierte die Malerin die Eltern in strenger aufgerichteter Haltung, wobei der vordere Meeresansatz zwischen ihnen seine Fortsetzung findet. Dagegen steht allerdings links und rechts vom Paar eine andere ruhigere Meeresqualität zur Kontemplation an, wo kleine Fische einen geruhsamen Aspekt liefern.Weiterhin überraschend ist die Gestaltung des Horizontes bzw. des Himmels über der familiären Gruppe, denn über den Meeren wölbt sich ein dunkelblauer nächtlicher Himmel, der dann allerdings wieder von einem Wiesendreieck seinerseits überragt wird, auf dem sich drei Hühner tummeln, die zu einer Sonne orientiert sind. Diese jedoch erscheint in ihrer Größe und mit ihren stachligen Strahlen absolut disproportioniert, man meint sie kann so nur illusionär räumlich sein.
Die räumliche Verunsicherung nimmt dann noch zu, wenn die beschriebene Vordergründigkeit sich in einem Superzeichen Hausform befindet und sozusagen den Einblick bzw. Durchblick auf Familie mit entsprechenden zitierten inhaltlichen Topoi gewährt, aber sich nicht um die orthodoxe bildräumliche Organisation kümmert, sondern um die gewollte akzidentielle inhaltliche Staffelung.
Denn das zweite Kind auf der Dachschrägen der Hausform verrät noch ein anderes Mal die realistische Proportionierung, indem es die gemeinte Hausform umarmt und dabei die diminutive Form Tor in der Wahrnehmung bewusst macht, siehe oben auch Durchblick, und durch seine eigene zu vermutende Kind-Größe das Tor nochmals verkleinert. Also kann hier wieder der vermeintliche Hintergrund von der Größenvarianz her schwanken und das poetische Gefühl sieht sich befreit in seiner örtlichen Empfindsamkeit. Die gelb-orange Wand sendet warmes Licht im Kontrast zum kalkig-weissen des relativ unbunt gemalten unteren Familientrios. Leere und weiße Fensterformen durchbrechen die warme Strahlung, weißer Kopf und Händ des Kindes und ein schwarzer wie mystischer Mond – wird so die Nacht zitiert? Die rechte Torkante wird vom Meer durchbrochen und läßt Fische in ein Fenster schwimmen. Ein schwarzes Huhn, abseits stehend, muss sich einen aufwendigen Weg übers Meer suchen, um zu seinesgleichen, zu den weißen Hühnern zu finden. So kalt, wie die weißgetönten Figuren den Betrachter stimmen mögen, so sorgt doch das gezeigte Blut, von der Frau zum Mann nach rechts wechselnd – er fängt es in Form eines großen Bluttropfens auf – für ein buntes Lebenszeichen, das die Personen früher verbunden hat. Jetzt allerdings werden ihre Leiber geöffnet, mit weißen Rippen gezeigt, die den tödlichen Ausgang eines inneren Dramas signalisieren. Die absolute Angst vor solchen Vorgängen – übrigens auch die Kinder betreffend wird veranschaulicht durch die weitaufgerissenen Augen, die dem Betrachter die ohnmächtige Furcht mitteilen, die Kontrolle über sich selbst und die Dinge zu verlieren.

Sigurd Bischoff