Hat das Bild Am Grünen Meer von 1990 noch eine festgefügte Komposition, eine sehr beruhigende Klarheit, einen inhärenten Zusammenhalt, trotz perspektivischer Brüche, so sind die Mexikanischen Vögel dazu konträr strukturiert:
Bildraum und Bildfläche sind ineinander verwoben, so dass der Betrachter immer neu herausgefordert wird zu entscheiden, ob die Farbfläche plastisch oder plan gemeint ist, ob sie zu einem Vorder-, Mittel- oder Hintergrund gehört.
Soll die Farbfläche als gegenstandskonstituierende erkannt werden oder als abstrakte nur sich selbst meinende Farbe, also dass die deskriptive Funktion eher verwendet wurde oder / und die symbolische bzw. evokative.
Diese künstlerisch – malerische Provokation hält uns intellektuell auf Trab und emotional verfügt sie das blanke Erstaunen über ein scheinbar chaotisches oder komplexes Farbfeldergedicht.
Das Kippige der verschiedenen angesprochenen Funktionen ist das psychologische Ergebnis eines hohen Mitteilungsdruckes, denn den Vogel – à la Dürer – in höchster Genauigkeit abbilden zu sollen, entbehrte der semantischen Methode. Soll heißen: von den Dingen nicht nur ihr formales Sosein auf die Leinwand zu projezieren, sondern auch, was man ihnen von ihrer Bedeutung her aufträgt mitzuteilen.
So tragen denn die Vögel – mit verschiedenen Beinpaaren – menschliche Leiber (erster Vogel, weibliches Beinpaar, grün), der anschliessende Rumpf, der ein geschlechtsneutrales Wesen darstellt allegorisiert die Seinsformen Vogel und Mensch in anthropomorpher Form.
Entleert von Federn liefert die klassische Flügel-Umrißform das Ideen- und Einfällegefäß und sorgt für das kompositorische Zentrum. Das Rätselfeld um die gekreuzten Vögel herum lädt den Betrachter ein zu einer sehr abwechslungsreichen Wanderung durch diese malerische Ideenlandschaft.
Übrigens erinnert das Kreuzen der Vögel auch an die Verbalisierung des Substantivs Vogel im Deutschen und damit an den Liebesakt, der hier sehr heiter seinen auch liebreizenden, formalen und farblichen und poetischen Verlauf nimmt – und das aufgrund der assoziativen Liberalität des Denkens und Fühlens von Marion Lucka – wo der Autor dieser Zeilen in synästhetischer Manier den Luftzug von flatternden Flügeln vernehmen möchte.
Sigurd Bischoff